Freitag, 16. Januar 2015

Kein Arbeitgeber darf weniger zahlen als Tariflohn

 Diese Annahme ist falsch. Das bloße Bestehen eines Tarifvertrages für eine bestimmte Branche bedeutet noch nicht, dass sich tatsächlich jeder Arbeitgeber an dessen Vorgaben halten muss. „Grundsätzlich gilt: Nur wenn sowohl das Unternehmen als auch der Arbeitnehmer tarifgebunden sind, trifft den Arbeitgeber die Pflicht, die entsprechenden Löhne zu zahlen oder die tarifliche Arbeitszeit einzuhalten“, sagt Stefan Lochner, Rechtsanwalt bei Beiten Burkhardt in München.

Wer von Tarifverträgen profitiert

Der Idealtypus der Tarifbindung ist der folgende: Der Arbeitgeber gehört dem Arbeitgeberverband an, der Arbeitnehmer ist Mitglied derjenigen Gewerkschaft, die den Tarifvertrag geschlossen hat. In diesem Fall gilt der Tarifvertrag automatisch. Abweichende Regelungen zum Nachteil des Arbeitnehmers sind unzulässig – und zwar auch dann, wenn einer von beiden seiner Interessenvertretung nachträglich den Rücken kehrt. „Die Tarifbindung endet erst mit dem Auslaufen des Tarifvertrags, der zum Zeitpunkt des Austritts galt“, so Rechtsanwalt Lochner.

Da Tarifverträge im Normalfall für eine Vielzahl von Unternehmen einer Branche gelten, lassen sich maßgeschneiderte Lösungen für einzelne Betriebe durch sie kaum erzielen. In der jüngeren Vergangenheit sind deshalb etliche Arbeitgeber aus den Interessenverbänden ausgetreten, um der Tarifbindung zu entgehen. Zum Teil schließen diese Unternehmen mit den Gewerkschaften sogenannte Haus- oder Firmentarifverträge. Diese weichen zum Teil deutlich von den Regelungen der Flächentarifverträge ab. Anwalt Lochner: „Firmentarifverträge gehen dem allgemeinen Flächentarifvertrag vor und ermöglichen es, etwa in wirtschaftlichen Krisen, auch Löhne unter dem Branchendurchschnitt zu zahlen. Mitunter enthalten selbst Flächentarifverträge sogenannte Öffnungsklauseln, die es dem Arbeitgeber – wenn auch für begrenzte Zeit – erlauben, in schweren Zeiten den Tariflohn zu reduzieren oder Mehrarbeit ohne Lohnausgleich anzuordnen.“


Der Arbeitsvertrag ist das Maß aller Dinge

Ist eine der Vertragsparteien nicht tarifgebunden, gelten die Tarifverträge für dieses Arbeitsverhältnis im Normalfall nicht. „Der Arbeitgeber kann dann jederzeit geringere Löhne als der Branchendurchschnitt vereinbaren. Grenze ist hier letztlich nur die Sittenwidrigkeit“, so Experte Lochner.

Ausnahmsweise können Tarifverträge allerdings auch dann zur Anwendung kommen, wenn weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer in einem Interessenverband organisiert sind. „Unternehmen können mit ihren Mitarbeitern jederzeit einzelvertraglich die Geltung eines Tarifvertrags oder einer bestimmten Tarifregelung vereinbaren, indem sie auf diese Vorschrift ausdrücklich im Arbeitsvertrag Bezug nehmen“, so Rechtsanwalt Lochner. Mehr noch: In Ausnahmefällen können Arbeitnehmer sogar ohne eine solche Bezugnahmeklausel den tariflichen Regelungen unterstehen, und zwar dann, wenn ein Tarifvertrag durch den Bundesarbeitsminister für allgemeinverbindlich erklärt wird.

Seit Beginn der 1990er-Jahre hat sich der Anteil der allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge allerdings deutlich verringert. Von den rund 64 300 im Tarifregister eingetragenen gültigen Tarifverträgen waren Mitte 2008 gerade einmal 460 allgemeinverbindlich. Eine ständig aktualisierte Übersicht über die allgemeinverbindlichen Tarifverträge veröffentlicht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf seiner Internetseite.

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